Schon kurz nach seiner Ankunft ersetzte bzw. verdrängte der Hopfen die vielen verschiedenen, bisher verwendeten Biergewürze der Ales. Lediglich ein einziges Bier, das „Devon White“, gewürzt mit Gruit, einer Kräutermischung, überlebte bis ins 19. Jahrhundert. Beim Brauen trennten die Brauer verschiedene Güsse ab und stellten insgesamt wesentlich alkoholstärkere Biere her, als wir sie heute gewohnt sind. Ales wurden aus kunstvoll gestalteten Likörgläsern getrunken und vor dem Servieren in einem Dekanter belüftet.
Die englischen Biere waren bis ins 18. Jahrhundert vor allem Braunbiere, „Brown Ales“. Die damalige Art des Mälzens, das Trocknen des Malzes über offenem Feuer, sorgte dafür, dass immer ein Teil der Getreidekörner dunkel geröstet wurde. Der Anteil dieses frühen „Röstmalzes“ sorgte immer für eine relativ dunkle Bierfarbe. Helles Malz konnte nur über die antike Methode, das Trocknen im Sonnenschein (Luftmalz), oder durch Aussortieren der dunklen Körner erreicht werden. Dadurch war helles Bier sehr selten und dann teuer. Reiche Bürger konnten also ihren Gästen schon mit dem servierten Bier zeigen, was sie ihnen wert waren. Erst mit dem Aufkommen der modernen, koksbefeuerten Großmälzereien im 18. Jahrhundert war helles Malz in größerem Umfang verfügbar.
Die erste Erwähnung eines „Pale Ale“ stammt vermeintlich aus dem Londoner „Peacock Inn“, beschrieben als „Burton Ale“. Neuere Forschungen vermuten allerdings, dass auch dieses eher ein „Brown Ale“ war. Denn die Brauereien in Burton stellten noch sehr lange hauptsächlich dunkle Biere her. Die Brauerei Bass beispielsweise verkaufte ihr erstes „Pale Ale“ erst 1823. Dennoch ist es gut möglich, dass Brauereien in den frühen Kohlerevieren in Derbyshire und Nottingham schon im 17. Jahrhundert helles Malz mithilfe von Koks herstellen konnten. Insgesamt erfreuten sich Pale Ales ab dem Beginn des 18. Jahrhundert zunehmender Beliebtheit in der Hauptstadt. Möglicherweise führte gerade das zur „Erfindung“ des Porters – um neben dem neuen hellen auch einen dunklen Bierstil vom klassischen Brown Ale abzugrenzen. Während der folgenden Boomphase des Porters haben sicherlich kleinere Brauereien weiterhin helle Biere hergestellt, erreichten aber keinen signifikanten Marktanteil.
Als George Hodgson 1790 das erste „Pale Ale“ nach Indien verschiffte, war der Grundstein für eine erneute Revolution auf dem englischen Biermarkt gelegt. In einem Gedicht aus dieser Zeit heißt es „Oh Beer! O Hodgson, Guinness, Allsopp, Bass! Names that should be on every infant’s tongue!“ Andere englische und auch schottische Brauereien taten es Hodgson gleich und stiegen ebenfalls in den Ostindien-Handel ein. Wurden 1697 noch 700 Barrels Bier exportiert, waren es um 1800 über 9.000. Im Gegensatz zu dem wesentlich größeren Handel mit den Nordamerikanischen Kolonien war das Lukrative am Geschäft mit Indien, dass die Schiffe zwar großen Profit mit den aus Indien eingeführten Waren einfuhren, aber nahezu keine Güter hatten, die sie auf dem Rückweg wirtschaftlich sinnvoll mitnehmen konnten. Das machte die Frachtkosten billig und lieferte Hodgson die Grundlage für eine äußerst erfolgreiche Unternehmung. Weitere Einzelheiten zum India Pale Ale finden Sie im zugehörigen Artikel.
Die Brauereien aus Burton versuchten sich anfangs mit ihren Braunbieren zuerst auf dem Londoner Markt, mussten aber feststellen, dass die Hauptstadt aufgrund der Zölle und der viel größeren örtlichen Brauereien kein guter Markt für ihr Bier war. Stattdessen entdeckten sie das Baltikum und Russland für sich. Dorthin exportierten sie dank der Verbindung zum Hafen Hull über das River Trent Kanalsystem ihre kräftigen Starkbiere und brachten auf dem Rückweg russisches, polnisches und deutsches Eichenholz mit, aus dem sie ihre neuen Bierfässer herstellten. Dieses Holz hat eine höhere Dichte und gibt deswegen wesentlich weniger Tannine an das darin gelagerte Bier ab als die englischen Gehölze. Die Napoelonischen Kriege führten um 1800 einerseits zu drastischen Steuererhöhungen auf Malz und andererseits zu einer Blockade des Handels zwischen den Britischen Inseln und dem Festland, was auch den Handel mit Russland und dem Baltikum einschloss.
Auch nach Kriegsende blieb der Ostseehandel schwierig, zudem verlor die East India Company das Monopol für den Indienhandel, wodurch auch der exklusive Zugriff des Londoner Brauers George Hodgson auf dieses einträgliche Geschäft gelockert wurde. Die Company schickte einige Flaschen des Hodgson-Bieres nach Burton und fragte, ob Samuel Allsopp, der während der französischen Blockade für 7.000 Pfund eine Burtoner Brauerei gekauft hatte, es reproduzieren könne. 1822 hatte er Erfolg, und schon ein Jahr später verließ die erste Ladung India Pale Ale die Insel in Richtung Indien. Andere Brauereien wie der Lokalrivale Bass folgten Allsopp nach. 1827 verunglückte eines der Schiffe mit Bass-IPA, und die Ladung wurde in Liverpool versteigert. Die Käufer zeigten sich hochbegeistert von dem für sie völlig neuen hellen und bitteren Bier, und sie verlangten es in den Pubs der Stadt. Schon 20 Jahre vorher hatte Allsopp seine englischen Kunden befragt, in welche Richtung er sein Bier weiterentwickeln sollte. Bereits hier war die Antwort: Heller und bitterer.
Also konzentrierten sich vor allem Bass und Allsopp zunehmend auf helle und bittere Biere und dominierten ab 1830 den Handel mit Indien, auch wenn dieser nur einen kleinen Teil ihres gesamten Bierhandels ausmachte. Der Großteil des Pale Ales ging an Kunden auf der Insel selbst. Den rasanten Aufstieg des hellen Bieres begünstigten mehrere Faktoren:
Ähnlich wie beim Pils in Deutschland war gerade das Glas ein entscheidender Faktor für die Beliebtheit hellen Bieres. Denn erstmals konnten die Konsumenten sehen, was sie tranken, und da schaute ein helles Bier schlicht besser und damit auch qualitativ hochwertiger aus als die bisher übliche „braune Suppe“. Bass wurde 1876 zur größten Brauerei der Welt, dicht gefolgt von Allsopp, mit jeweils deutlich über einer Million Hektolitern Bierproduktion. Beide exportierten in die ganze Welt, bis nach Australien, wo Foster’s in den 1890er Jahren das erste einheimische IPA einbraute.
Die Begriffe „IPA“ und „Pale Ale“ wurden synonymisch gebraucht, die großen Brauereien unterschieden teils zwischen den Varianten für den Export (IPA) und für den heimischen Markt (Pale Ale), wobei ersteres sowohl mehr Alkohol, als auch eine intensivere Hopfenbittere aufwies. Hopfen wurde schon im 19. Jahrhundert in großem Stil aus Deutschland und den USA importiert, um den steigenden Bedarf decken zu können. Der Begriff „India Pale Ale“ taucht erstmals in einer Anzeige von Hodgson aus dem Jahr 1835 auf (siehe IPA-Artikel).
Der Erfolg des kontinentalen Lagerbieres und die Veränderungen in der britischen Gesetzeslage führten in der Folge zum Niedergang des Pale Ales. Denn die Besteuerung betraf nur noch den Stammwürzegehalt, regulierte aber nicht mehr den Ursprung der enthaltenen Kohlenhydrate. Zucker und Rohgetreide machten bald 20% der Rohstoffe aus. Zudem war es für die Brauereien lukrativer, Biere mit geringerer Stammwürze und schnellerer Verkaufsfähigkeit herzustellen. Kriege und Weltwirtschaftskrise führten zu weiteren Steuererhöhungen, vor allem auch beim Bier. 1921 machte die Steuerlast 53% der Produktionskosten der Bass-Brauerei aus. Heute sind gut 30% des Preises eines Pints Ale in einem englischen Pub Steuern. Die Biertrinker der Insel zahlen zusammen über die Hälfte der Biersteuereinnahmen in der EU. So nimmt es nicht Wunder, dass die durchschnittliche Stammwürze der englischen Biere von 14,2% um 1880 auf 9,3% um 1950 fiel. Der Weg zum „Near Water Beer“, also einem relativ geschmacklosen Getränk, war geebnet.
Erst die CAMRA brachte das Pale Ale wieder ins Bewusstsein der Briten, die seit einigen Jahrzehnten ihr Bier im Pub wieder lieber „cask-conditioned“, also aus dem Fass mit einer zweiten Gärung, und wesentlich wärmer als die Lagerbiere im kontinentalen Stil trinken wollen. Mit den ersten Pale Ales der US-amerikanischen Craft Beer Bewegung, beispielsweise dem „Sierra Nevada Pale Ale“ startete ein zweites Revival des Bierstiles, das ich im Text über das IPA näher beschreibe.
Autor: Markus Raupach
Fotograf, Journalist, Bier- und Edelbrandsommelier
Ausgezeichnet mit der Goldenen Bieridee 2015
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