Bei der Vergärung arbeiteten neben obergärigen Hefestämmen auch Milchsäurebakterien, die durch die leichte Säure dem Bier eine verlängerte natürliche Haltbarkeit verliehen. Zudem schätzten die Verbraucher die weinigen Noten im Geruch der Biere. Nach und nach setzte sich auch die Zugabe von Kräutern und später Hopfen durch, was einerseits ebenfalls die Biere stabilisierte und andererseits angenehme Aromen in ihnen hinterließ. Zu guter Letzt setzten die Brauer auch auf eine höhere Stammwürze und damit einen höheren Alkoholgehalt, der sich nochmals positiv auf die Lagerfähigkeit des Gebräus auswirkte.
Normale belgische Biere im 19. Jahrhundert hatten allerdings lediglich 3% Alkoholgehalt, weshalb schon ein Bier mit 4% als Starkbier galt. So müssen wir uns also auch die Biere vorstellen, die die wallonischen Bauern im Winter brauten, um ihre Arbeiter im Sommer mit einigermaßen gutem Bier versorgen zu können. Daher erhielten sie auch ihren Namen, „Saison d’été“ (Sommersaison).
Wegen der vielen verschiedenen Rezepturen können wir bis ca. 1920 nur von einer Familie verwandter Biere sprechen. In der Regel waren Saisons in der Zeit davor eher hellbraune, schwach aromatische und wenig alkoholische Biere. Gebraut wurde in der Wallonie im Dezember während des Advents, weswegen manche das Bier auch als „Bière des Avents“ bezeichneten, und im März, weil die Bauern zu dieser Zeit keine anderweitigen Aufgaben zu verrichten hatten. Aus anderen Regionen kennt man auch das Brauen im November, wo die jeweiligen Sude die Bauernfamilien zu wahren Braufesten inspirierten. Getrunken hingegen wurden die Saison-Biere schließlich von Mai bis September. Doch es gab nicht nur halbjährig gelagerte Biere. Aus den Überlieferungen wissen wir, dass durchaus auch Lagerzeiten von eineinhalb bis zwei Jahren üblich waren. Oft schmeckten die intensiv gehopften Biere nach der längeren Reifung deutlich besser.
Als Rohstoffe verwendeten die Bauern meist selbst angebaute und gemälzte sechszeilige Wintergerste, aber auch Weizen, Hafer, Buchweizen und Dinkel. Die Proportionen variierten dabei deutlich, und Gerste hatte nicht immer den größten Anteil an der Getreidemischung. Die Stammwürze lag bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bei 7-9% und erhöhte sich dann nach und nach auf bis zu 14%. Die Hopfengaben waren hoch und lagen bei bis zu 800 Gramm pro Hektoliter Bier. Ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts kamen neben den heimischen Hopfen aus der Provinz Hainaut auch qualitativ höherwertige englische und deutsche Hopfen zur finalen Aromatisierung (Kalthopfung mit nochmals bis zu 400 Gramm Hopfen pro Hektoliter) zum Einsatz. Trotz dieser hohen Hopfung entwickelten die Saisonbiere immer eine leichte Sauernote, denn in der Regel war der Hopfen alt und brachte eine Menge Bakterien mit ins Bier.
Neben Hopfen landeten aber auch Gewürze und Kräuter wie beispielsweise Sternanis, Koriander, grüner Pfeffer, Kumin, Orangenschalen, Ingwer und Salbei im Bier. Aus dem Malz stellten die Brauer in der Regel drei aufeinanderfolgende, wegen des zunehmend mehr ausgelaugten Malzes immer schwächere Würzen her. Die ersten beiden vermischten sie für ihr Saison, die dritte und schwächste wurde zu einfachem „Bière de ménage“ oder „Bière de table“ (Haushalts- oder Tischbier) vergoren.
Gekocht wurde bis zu 15 Stunden, was dem Bier zusätzliche Farbe verlieh. Es war durchaus üblich, Saison-Biere verschiedenen Alters zu verschneiden, um einerseits das Aroma anzupassen und andererseits den Alkoholgehalt mit frischem Bier abzusenken. Die Feldarbeiter tranken das Bier in der Regel aus kleinen Holzfässern oder großen Keramikkrügen. Als Flaschen aufkamen, vergruben sie das Bier zu Beginn des Arbeitstages und holten es in den Arbeitspausen wieder aus der Erde. So blieb es länger kühl. Das Saison für die Tavernen lieferten die Brauer in 30-Liter-Fässern. Sobald sie im Keller des Wirtes standen, startete dieser eine neue Gärung, um dem Bier Kohlensäure und Frische zu verleihen. Den Gästen standen zwei Sorten zur Verfügung: Das kräftige Saison „Bière fine de conserve“, das nach dem Arbeitstag getrunken wurde, und das leichtere „Courante Saison“ (Alltagsbier), das weniger als 3% Alkoholgehalt hatte.
Nach 1920 und dem Drängen der englischen und deutschen (untergärigen) Biere auf den belgischen Markt verschwanden bis auf das kräftige Saison fast alle ursprünglichen Biere der Wallonie vom Markt. Dazu trug auch bei, das die Gesetze des 19. Jahrhunderts lediglich die Größe des Braukessels als Grundlage für die Besteuerung nutzen. Deswegen hatten die meisten Brauereien sehr kleine Sudpfannen, in denen sehr viel Malz mehrmals eingemaischt (ausgelaugt) wurde. Das Endergebnis waren im Durchschnitt eher schwache Biere, die der neuen Konkurrenz nicht gewachsen waren. Um einen Gegenpol zu den Importbieren zu bilden, entschlossen sich die belgischen Brauer, hochprozentige Biere in Flaschengärung (mit zusätzlicher Zucker- und Hefegabe) herzustellen. Die ebenfalls aufkommende Werbemaschinerie stilisierte diese Biere zu den typisch belgischen Nationalgetränken.
Dieser Entwicklung folgten auch die Saison-Biere, die schließlich 14% Stammwürze und 7% Alkohol erreichten. Der technologische Fortschritt ermöglichte zudem, während des gesamten Jahren Bier zu brauen und die Lagerzeit auf die normaler Biere zu reduzieren. Die zweite Gärung mit zusätzlichem Zucker und Hefe in der Flasche sorgte aber – wie auch heute – für den besonderen Geschmack im Vergleich zu anderen – nur einfach vergorenen – Bieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt der Trend für immer stärkere Saisons an und sorgte für Versionen mit 8% Alkohol und mehr. Der Charakter der wilden Hefen und anderen Bakterien ging dabei verloren. Manche Brauereien stellen allerdings Saison-Biere in alter Tradition als „Vieille Saison“ her, die weniger Hopfen und dafür deutliche Säurenoten enthalten.
Autor: Markus Raupach
Fotograf, Journalist, Bier- und Edelbrandsommelier
Ausgezeichnet mit der Goldenen Bieridee 2015
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