Zudem waren die Biere Deutschlands bis zum Ende des Mittelalters obergärige Biere, die in der Regel durch Infektionen zudem eine mit der Lagerung immer stärker werdende säuerliche Note aufwiesen. Clevere Brauer in Bayern stellten zu Beginn des 15. Jahrhunderts fest, dass die Temperatur der Grund dafür sein musste, warum ihre Biere aus den kalten Wintertagen einen besseren Geschmack und eine höhere Haltbarkeit hatten, als die vom ausgehenden Herbst oder den wärmer werdenden Frühjahrstagen, geschweige denn die Sude von warmen Sommertagen. Sie kamen auf die Idee, bei wärmerem Wetter die Gärung in ihren Lagerkellern zu besorgen, wo das ganze Jahr gleichbleibend kühle Temperaturen um die 8 Grad Celsius herrschten. Die bewusste „Verwendung“ der untergärigen Hefe war geboren. Der erste Hinweis auf diese Art der Gärung findet sich in den Unterlagen der Münchner Stadtverwaltung von 1420, wo auch festgelegt wurde, dass Bier nach dem Brauen eine Zeitlang lagern soll: „Es soll ein jeglicher prew das pir, das er sewdt, vor acht tag nit ausgebn.“ 27 Jahre später folgte das Münchner Reinheitsgebot, das zum Brauen Gerste, Hopfen und Wasser vorschrieb.
Von 1551, ebenfalls aus einer Münchner Brauordnung, stammt die erste Erwähnung von Hefe und Untergärung. Die Brauer sollten „Gerst, guetten hopffen ...wasser ...und hepffen, einen rechten sutt und kielung geben, auch die untergier geben.“ 1553 verbot Herzog Albrecht V. das Brauen zwischen Georgi (23. April) und Michaeli (29. September) komplett (abgesehen vom Weißbier, auf das das Herrscherhaus das Monopol hatte), wodurch sich in der bayerischen Bierlandschaft das untergärig hergestellte Bier durchsetzte. Es entwickelte sich ein malzbetontes Braunbier, aus dem später das heutige Dunkle wurde. Weitere „Evolutionsstufen“ waren der bayerische Bock (17. Jahrhundert) und die Märzenbiere (Mitte 19. Jahrhundert), zu denen auch Wiener Lager und Oktoberfestbier zählen. Die Bierstile wurden also immer heller, bis am Ende durch die modernen Mälzereien der industriellen Revolution der Grundstein für das heutige Helle gelegt war.
Am Anfang der „Erfindung“ des Hellen stehen zwei Bierbarone aus dem 19. Jahrhundert, Gabriel Sedlmayr (Spaten-Brauerei) aus München und Anton Dreher aus Wien. Beide begaben sich 1833 auf eine Reise nach England, die wir heute als geplante Industriespionage bezeichnen würden. Sie inspizierten vor allem die Mälzereien auf der Insel. Dort war seit etwa einem Jahrhundert helles Bier durchaus üblich, Pale Ale und India Pale Ale. Die erste Neuerung der beiden Bierbrauer war die Standardisierung der für die Braunbiere verwendeten dunklen Malze, heute die Typen „Münchner Malz“ und „Wiener Malz“. Das erste mit Münchner Malz gebraute Bier war ein Märzen für das Oktoberfest 1841, auf dem es erfolgreich Premiere feierte. Dreher wiederum stellte das erste „Wiener Lager“ vor. Ein Jahr später „erfand“ der Vilshofener Braumeister Josef Groll in Pilsen das erste wirklich helle europäische Lagerbier, das wir heute alle als Pilsner kennen. Mit der Einführung und Ausbreitung der Eisenbahn wurde das Pilsner Bier das einzige Bier, dass jemals in größerem Umfang nach Deutschland und Bayern importiert wurde.
Sedlmayr sponserte übrigens auch Carl von Lindes Entwicklung der Kältemaschine, die 1877 ihren Dienst aufnahm und das untergärige Brauen wesentlich erleichterte. Eine andere bayerische Erfindung ebnete den weiteren Weg auf dem Weg zum bayerischen Hellen: Lorenz Enzinger erdachte 1878 den ersten Bierfilter und stellte ihn 1880 auf der Münchner Brauereitagung vor. Nur sechs Jahre später hatte er schon über 1.000 Stück verkauft. Zeitgleich wurde das Glas immer mehr zum Trinkgefäß für Bier, und die Menschen konnten auf einmal sehen, was sie tranken. Also beugten sich die Münchner Brauer dem Druck des böhmischen Importbieres und der Verbraucher einerseits und dem technologischen Fortschritt andererseits und brauten für das Oktoberfest von 1872 ein goldgelbes „Märzen-Bier nach Wiener Art“ in der Franziskaner-Leist-Brauerei. Auf die damalige Rezeptur geht angeblich das heutige Oktoberfestbier der Spaten-Brauerei zurück, die die Franziskaner-Leist-Brauerei 1922 übernahm. Das erste so genannte „Helle LagerBier“ folgte 1874, gebraut von Spaten. Allerdings machten sie den Test nicht im Heimatmarkt, sondern schickten drei Fässer des ersten Testsudes (gebraut Ende 1893) am 21. März 1894 nach Hamburg. Das gute Feedback ermutigte die drei Sedlmayr-Brüder zum ersten heimischen Ausschank ihres „Hellen“ am 20. Juni 1895 – die Münchner waren begeistert.
Darüber waren die anderen Münchner Brauer nicht gerade erfreut und beraumten am 7. November 1895 ein Treffen an, bei dem die Angelegenheit geklärt werden sollte. Mittlerweile hatte auch noch die Thomas-Brauerei ein helles Bier auf den Markt gebracht. Auf der Versammlung der Münchner Brauer konstatierte Joseph Wagner, Inhaber der Augustiner-Brauerei, dass der neumodische Trend der hellen Biere sicher nur eine vorübergehende Erscheinung sein würde. Er ging allerdings noch einen Schritt weiter und forderte eine gemeinsame Resolution der Münchner Brauer, die das Brauen von hellem Bier für die Zukunft verbieten und den beiden bereits hell brauenden Brauereien die Herstellung ihrer hellen Biere untersagen sollte. Schließlich würde das nur dem Erfolg des Importbieres aus Pilsen weiteren Vorschub leisten. Carl Sedlmayr entgegnete, dass man mit einer solchen Selbstverpflichtung den Siegeszug des böhmischen Bieres nicht würde aufhalten können. Die einzige Gegenwehr sei ein eigenes helles Bier, wie er es braue: „Wir haben keinen Fehler mit unserem Hellen Bier gemacht, sondern sind nur den Wünschen unserer Kunden gefolgt.“ Auch Georg Theodor Pschorr schlug sich auf die Seite Sedlmayrs, und so endete die Sitzung in Uneinigkeit. In der Folge verbreitete sich das Helle nach und nach in Bayern und Deutschland. Selbst die ehemaligen Widersacher, Augustiner und Paulaner, haben mittlerweile ein eigenes „Münchner Hell“ im Programm.
Noch kurz erwähnt sei die Geschichte des „Radlers“, einer Mischung aus Hellem und Zitronenlimonade, die in bayerischen Biergärten sehr beliebt und als „Alsterwasser“ (Norddeutschland) oder „Panasch“ (Saarland) auch außerhalb des Freistaates große Verbreitung gefunden hat: Nach dem Ersten Weltkrieg war das Radfahren in Deutschland sehr populär geworden, und Franz Xaver Kugler, Besitzer der Kugleralm in Deisenhofen, hatte einen Radweg von München zu seinem Biergarten installieren lassen. Eines schönen Samstags im Juni 1922 folgten etwa 13.000 Radfahrer diesem Pfad – und wollten ein kühles Bier. Für solche Mengen war der Wirt nicht gerüstet, aber er hatte noch einige Tausend Flaschen Zitronenlimonade in seinem Lagerkeller, die bei seinen Gästen nicht angekommen waren. Flugs mischte er Bier und Limonade 1:1 und erklärte, dass er zum Wohl der Fahrradfahrer den Gehalt an alkoholhaltigem Bier reduziert und durch bekömmliche Limonade ergänzt habe. Das Resultat nannte er „Radlermaß“ – ein weiteres Erfolgsrezept aus Bayern.
Autor: Markus Raupach
Fotograf, Journalist, Bier- und Edelbrandsommelier
Ausgezeichnet mit der Goldenen Bieridee 2015
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