Und es wurde spannend. Denn erst fand er eine Urkunde von 1663, dann eine von 1588 und schließlich den ersten Wirt von Rettenberg, der 1477 bereits eine „Braustatt“ sein Eigen nannte. Nun hatte die Zötlers auf einmal über 500 Jahre und 20 Generationen auf dem Buckel – einzigartig im ganzen Land. In der Zeit war viel geschehen, 1605 erhielten die Brauer ordentliche Prügel beim Bauernaufstand, Pest, Dreißigjähriger Krieg, Weltkriege und Inflation folgten. Zeitweise hatte das Bier nur noch 1,7% Stammwürze, doch aufgegeben haben die Zötlers nie. Im Gegenteil: Sie expandierten, besaßen zwischenzeitlich an die 50 Gasthäuser und lieferten im ganzen Allgäu aus. Aus 2.500 Hektolitern Jahresproduktion nach dem Zweiten Weltkrieg wurden so über 75.000 zur Jahrtausendwende. Der heute amtierende Heinrich Zötler III. übernahm das Unternehmen Anfang der 1990er Jahre von seinem Vater, der neben der Rettenberger Ehrenbürgerwürde auch den Bayerischen Bierorden erhalten hatte. 1995 verkündete er die „Dosenfreie Zone Allgäu“ und war damit ein Vorreiter des späteren Dosenpfandes, das er für einen Segen hält. „Die Dose war ein Kampfinstrument der Industriebrauer“, sagte er 2004 in einem Spiegel-Interview, „die haben ihre Überkapazitäten darin abgefüllt, um uns rauszudrängen. Die mittelständischen Brauer werden Jürgen Trittin für das Dosenpfand ein Denkmal setzen.“
Ganz so weit ist es zwar nicht gekommen, aber Zötler bewies insgesamt viel Weitsicht, beispielsweise auch 2006 bei der Gründung der Initiative „Die Freien Brauer“, in der sich mittlerweile 40 Privatbrauereien zusammengeschlossen haben, um gemeinsam für ihre Werte einzustehen. Große Freiheit, Persönliche Verantwortung, Einzigartige Vielfalt, Höchste Qualität, Saubere Umwelt, Echte Tradition und Gelebte Heimatverbundenheit sind die Grundprinzipien der Gemeinschaft, zu der auch andere bekannte Namen wie Fiege, Flensburger, Riegele, Maisel, Schneider, Stiegl, Störtebeker und Welde gehören.
Regional wirkt Zötler einerseits durch seine „Zötler Post“, einer Hauszeitung, die es schon auf über 100 Ausgaben gebracht hat und in allen Gaststätten mit Zötler Bier ausliegt, und die Zötler Gastro-Akademie, die regelmäßig Fortbildungen für Gastronomen und Hoteliers anbietet. Mit Niklas Zötler ist seit 2013 die nächste Generation im Unternehmen aktiv. Der Braumeister und Biersommelier bereitet sich aktuell als Produktmanager auf seine kommende Rolle an der Unternehmensspitze vor.
Zu den klassischen Biersorten gehört bei Zötler auch ein „Vollmond Bier“, das ausschließlich in den Vollmondnächten gebraut wird. An diesen Terminen feiern die Brauer mit ihren Fans alle vier Wochen ein Vollmondfest im Besucherzentrum der Brauerei – der perfekte Zeitpunkt für einen Besuch im Allgäu. Passend zum neu entdeckten Gründungsdatum gibt es auch ein „1447 Naturtrüb“, das – der damaligen Zeit entsprechend – obergärig und karamellmalzbetont auf eine kleine Zeitreise einlädt. Jedes Jahr zu Brauersilvester am 30.9. schenkt Zötler den St. Stephans Bock aus, ein dunkler Doppelbock mit Schokolade- und Kaffeearomen.
Unter dem Label „Sagenbiere“ lassen die Allgäuer zwei alte Geschichten in flüssiger Form lebendig werden. „Heinrich der Kempter“ war ein Ritter, der den Sohn eines Herzogs von Schwaben während seiner Hofhaltung in Bamberg verteidigte. Der kleine Junge hatte Brot von der Tafel des Kaisers stibitzt, wofür er von dessen Mundschenk gezüchtigt wurde. Im Streit erschlug Heinrich den Mundschenk und wurde vom Kaiser zum Tode verurteilt. Aus seiner Not heraus packte der Ritter den Kaiser und hielt ihm seine Klinge unter dessen mächtigen roten Bart. Kaiser Otto war gezwungen, das Urteil aufzuheben, verbannte Heinrich jedoch vom Hof. Viele Jahre später führte Kaiser Otto Krieg und forderte deshalb seine Lehensmänner auf, ihm zu folgen. Dem Abt von Kempten widerwillig gehorchend, zog Heinrich los, um für seinen Herrscher zu kämpfen, bei dem er in Ungnade gefallen war. Eines Tages konnte Heinrich, während er im Zuber badete, sehen, wie der Kaiser auf eine der belagerten Städte zuritt. Die Bürger der Stadt behaupteten, zu Verhandlungen bereit zu sein, lockten den Kaiser jedoch in eine Falle. Als Heinrich das sah, sprang er aus dem Zuber, schnappte sein Schwert und eilte dem Kaiser, nackt wie er war, zu Hilfe. Kämpfend wie ein Bär schlug er all seine Gegner in die Flucht. Als Kaiser Otto erkannte, wer ihm zu Hilfe gekommen war, vergab er Heinrich dem Kempter. Für die Zötler-Brauer bildete der Recke die perfekte Vorlage für einen Roten Bock.
Beim zweiten Sagenbier geht es um den „Schwarzen Ritter von Rettenberg“, der zum Kreuzzug ins Heilige Land aufbrach. Viele Jahre war er fern der Heimat, erst im Kampf, später in Gefangenschaft, wo er zahlreiche Entbehrungen auf sich nehmen musste. In diesen Jahren der Abwesenheit machte sein Freund der schönen Ehefrau des Burgbesitzers den Hof. Die Sage erzählt uns, dass er keine Gelegenheit ausließ, um die Rittersfrau davon zu überzeugen, dass ihr Mann im Kampf gefallen war und nie wieder zurückkommen werde. Und mit jedem Jahr das verging, schmolz ihre Hoffnung, ihren geliebten Mann jemals wieder lebend in die Arme schließen zu können. Der Ritter indessen hatte sich aus der Gefangenschaft befreit und trat die gefahrvolle Reise in die Heimat an. In Lumpen, halb verhungert und ausgemergelt, klopfte er genau an dem Tag an das verschlossene Tor der Burg, an dem die Vermählung seines Freundes mit seiner eigenen Frau stattfand. Da man ihn in seinem Zustand für einen armen Bettler hielt, bekam der Ritter zu Ehren des Brautpaares einen Becher Wein. Voller Zorn und Wut warf er seinen Ehering in den Wein und ließ in der Braut bringen. Doch damit nicht genug: der Ritter zog sein Schwert und erschlug das in seinen Augen gottlose Brautpaar und vertrieb die Hochzeitsgesellschaft von der Burg. Fortan hauste er dort allein. Doch der Zorn verflog und zurück blieb eine ihn verzehrende Reue. Die Sage berichtet, dass er noch heute für seine Tat büßen muss. Nachts soll der Geist des Schwarzen Ritters, wie er seither genannt wurde, immer um die Burgruine reiten und jammern: „Da drinnen liegt sie. Ich habe sie gemordet. Vergib mir!“ Diese Achterbahn der Gefühle inspirierte die Allgäuer Braumeister zu einem stark gehopften Porter, das abwechselnd Süße, Bittere und Fruchtigkeit auf die Zunge zaubert.
Geschichten erzählen können die Zötlers natürlich auch in ihrer Familie, weswegen die Craftbiere an den leidenschaftlichen Kartenspieler und Niklas Opa Herbert Zötler II. (Herzsolo, ein schönes Hopfenweizen) und seine Frau Oma Mimi (Heilewelt, ein zitrusbetontes Pale Ale) erinnern. Sie sehen, hier im allgäu gibt es viel zu entdecken, und beinahe jedes Bier erzählt eine wunderschöne Story, die Sie nach dem Genuss auch gerne weiterspinnen dürfen…
Autor: Markus Raupach
Fotograf, Journalist, Bier- und Edelbrandsommelier
Ausgezeichnet mit der Goldenen Bieridee 2015
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