Gebraut und ausgeschenkt wurde „in Reihe“. Um sicherzustellen, dass es immer ein konstantes Bierangebot gab, wurden die Brautage zwischen den Braurechtsbesitzern ausgelost, und sie kamen nach und nach an die Reihe. Dieses System wurde in Sachsen teils bis zur Mitte 19. Jahrhunderts praktiziert. Unmittelbar nach dem Brauen schenkte der jeweils Berechtigten das Bier auch aus. In der Regel handelte es sich um obergäriges Braunbier, das keine lange Haltbarkeit besaß. Um anzuzeigen, dass gerade ausgeschenkt wurde, hängten die Bürger ein Bierzeichen aus, wie es heute noch bei den fränkisch-oberpfälzer Zoigl-Brauern praktiziert wird.
Nach und nach entwickelte sich eine hauptberuflich tätige Brauerschaft, die Braurechte von anderen Bürgern pachtete. Ende des 18. Jahrhundert entstand schließlich in Dresden die erste Brauer-Innung Sachsens. Der Hintergrund war, dass viele Bürger fremde Brauer aus Schlesien und Böhmen nach Dresden geholt hatten, um das Bier für ihr jeweiliges Braurecht zu sieden. Die wollten dann eine eigene Innung parallel zur bestehenden Mälzer-Innung gründen. Lange tobten die Kämpfe zwischen den Alteingesessenen und den Neuzugezogenen, bis dann die Regierung 1769 verordnete, dass eine gemeinsame Innung einzurichten sein. Wiederum kam es zu vielen Diskussionen, aber 1797 war dann endlich soweit: Die Dresdner Innung für Brauer und Mälzer war geboren.
Interessant sind aus heutiger Sicht vor allem die Bestimmungen für die Lehrlinge. So mussten sie mindestens 15 Jahre alt sein und mit dem Vater oder einem Verwandten einen Bürgen haben. Der Meister erhielt 10 Taler Lehrgeld. Die gleiche Summe wurde nach Beendigung der Lehre nochmals fällig. Anschließend folgten zwei Jahre Wanderschaft durch mindestens drei Länder, um das dortige Brauen kennen zu lernen. Der Wochenlohn eines Gesellen betrug 1 Taler und 12 Groschen. Wollte der Geselle anschließend Meister werden, brauchte er einen Erbschein, Kauf- oder Pachtvertrag für eine Braustätte und musste einen Meistersud einbrauen sowie 36 Taler Gebühren entrichten.
Mit der Gründung des Deutschen Zollvereins fielen 1833 zwischen 25 Staaten mit über 25 Millionen Einwohnern die größten Hemmnisse des grenzüberschreitenden Handels weg. Dies öffnete den Markt vor allem für die Brauwirtschaft, sowohl für Im-, als auch für Exporte. Mit der „Norddeutschen Biersteuergemeinschaft“, anfangs nur Preußen, Hessen und Sachsen (Sowie zahlreiche Kleinstaaten in Nord- und Mitteldeutschland), sollten für die Hersteller des Gerstensaftes ebenfalls gleiche Bedingungen gelten. Im Zuge dieser Vereinheitlichung verschwanden nach und nach die sächsischen Maßeinheiten. Die Dresdner Maß hieß zuvor „Kanne“ und fasste 0,93559 Liter. Ein „Eimer“ enthielt 72 und ein „Fass“ 420 Kannen. Bei den Gewichtseinheiten verwandten die Sachsen bis 1839 das „Pfund“ (Leipziger Kramergewicht) mit 467,29 Gramm.
Die sächsischen Brauereien waren wegen dieser Entwicklung plötzlich relativ ungeschützt der Konkurrenz ausgesetzt. Waren es bis 1850 die bayerischen Brauereien, die auf den sächsischen Markt drängten, kamen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts noch die böhmischen Betriebe und kurz nach der Reichsgründung 1871 die neuen Berliner Aktienbrauereien hinzu. Leipzig beispielsweise importierte vor der Gründung des Zollvereins 1830 insgesamt 434 Fass bayerisches Bier, fünf Jahre später waren es bereits 2.571 Fass. Umgekehrt vermerkten die bayerischen Behörden den ersten Bierimport aus Sachsen erst im Jahre 1845, und zwar von Plauen nach Hof.
Aus dieser grundsätzlich eher ungünstigen Situation erwuchs dem sächsischen Biergewerbe eine unerwartete Chance. Denn dadurch, dass die Bürger der sächsischen Städte sehr lange an ihrem eigenhändigen – obergärigen – Brauen festgehalten hatten, war es kaum zur Gründung von Zünften gekommen. Beim Aufkommen des bayerischen – untergärigen – Brauens gab es deshalb kaum Widerstände, als eine neue Lagerbierbrauerei (mit untergärigem Bier bayerischer Brauart) von staatlicher Seite als Industriebetrieb ohne Zunftzwang eingestuft wurde. Damit bedurfte es lediglich einer staatlichen Konzession für die Errichtung einer Aktienbrauerei, die in der Regel schnell und unproblematisch erteilt wurde. Dies nutzten viele clevere Industriebarone aus, und es kam ab 1850 zu einem regelrechten Gründungsboom sächsischer Aktienbrauereien, die schnell zum führenden Bereich, dem Bergbau, aufschlossen.
Alleine im Dresdner Hauptamtsbezirk bestanden 1861 bereits 173 Brauereien, die über 65.000 Eimer Bier herstellten. In den folgenden fünf Jahren erreichte die Produktion bereits fast 400.000 Eimer. Damit übertrafen die Sachsen bereits die Exportproduktion der Erlanger Brauereien. Die Franken hatten zu diesem Zeitpunkt die führende Rolle beim Brauen des untergärigen Bieres inne, waren aber in der Regel familiengeführte Unternehmen. Als solche fehlte ihnen im Gegensatz zu den Aktienbrauereien Sachsens das Kapital für schnelle Erweiterungen und Neuinvestitionen. Und das in einer Zeit stetigen Wachstums und neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Sachsen hatten also auf einmal einen Wettbewerbsvorteil gegen über ihren südlichen Nachbarn. So nimmt es nicht Wunder, dass Dresdner Kapital 1872 zur Gründung der Ersten Kulmbacher Actien-Exportbier-Brauerei führte und der Deutsche Brauer-Bund 1871 ebenfalls in Dresden entstand.
Eine Übersicht zur Rentabilität dersächsischen Aktienbrauereigesellschaften Ende der 1870er Jahre listet an der Spitze die Dresdner Felsenkellerbrauerei mit einer Dividende von 25%, gefolgt von der Schlossbrauerei Chemnitz mit 23% und der Vereinsbrauerei zu Leipzig mit 18%. Das war nationale Spitze. Nach der Reichsgründung kam es im gesamten Kaiserreich zu einer großen Gründungswelle, vor allem im Brauereiwesen. Die Brauereien wurden schnell zum bedeutendsten Bereich der Ernährungsindustrie und hatten 1906 einen Anteil von über 60%. In derselben Zeit setzte sich auch endgültig das untergärige Brauverfahren durch. Lagen 1870 ober- und untergärige Biere noch in etwa gleich auf, verließen 1912 zu über 90% untergärige Biere die deutschen Brauereien. Die Menge an verkaufsfertig produziertem Bier stieg von 30 auf über 70 Millionen Hektoliter an, und das Deutsche Reich steigerte seine Steuereinnahmen aus der Bierwirtschaft von 40 auf 232 Millionen Mark, mehr als 3% seines Bruttosozialproduktes.
Auch die sächsische Bierlandschaft hatte unter den Wirren der Kriege und der dazwischenliegenden Inflationszeit stark zu leiden. Die folgenden Jahrzehnte unter der kommunistischen Planwirtschaft und die 1990 auf den Plan tretenden westdeutschen Wirtschaftsbarone versetzten ihr schließlich fast den Todesstoß. Doch einige Traditionsbrauereien konnten sich letzten Endes halten oder sogar neu gründen, Radeberger beispielsweise ist Teil und Namensgeber der größten deutschen Brauereigruppe. Auf der anderen Seite entwickelt sich auch im östlichen Freistaat eine kleine Craft Beer-Szene, die dann mitunter illustre Namensblüten treibt, wie beispielsweise „Kevin Brewery“ in Zwickau. Mittlerweile an die 100 Braustätten werkeln heute wieder zwischen Leipzig, Chemnitz und Dresden, Sachsen ist also durchaus auch für Bierfans eine Reise wert.
stehende, Bier des Landes erhalten – danke!
Autor: Markus Raupach
Fotograf, Journalist, Bier- und Edelbrandsommelier
Ausgezeichnet mit der Goldenen Bieridee 2015
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