US-Haus- und Mikrobrauer
Schon bevor Jimmy Carter das Hausbrauen nach 43 Jahren 1978 erneut legalisierte, hatten viele Amerikaner in ihren Kellern und Kochtöpfen mehr oder weniger heimlich mit Bäckerhefe Bier gesiedet. Mit dem Erlass des Präsidenten war nun der Weg geebnet, in den einzelnen Bundesstaaten das Brauen zu Hause wieder zu genehmigen – zuletzt waren dies Alabama und Mississippi 2013. Damit hatte das beliebte Staatsoberhaupt den Weg für eine Bewegung geebnet, die ausgehend von den USA bald die Welt erfassen sollte: das Craft Brewing.
Mit dem Begriff artikulierten die US-Haus- und Mikrobrauer vor allem die Idee, ein Bier jenseits des Einheitsgeschmackes der Erzeugnisse von nur noch wenigen US-Großbrauereien herzustellen. Spätestens mit der Einführung des ersten „Lite“-Bieres von Miller stand in den Regalen der Getränkemärkte fast nur noch „Near Water Beer“, wie die Amerikaner es spöttisch nannten. In Anlehnung an das meistkonsumierte Getränk der Welt – Wasser – und den wissenschaftlich ermittelten Mainstreamgeschmack hatten die großen Brauereien wie Miller und Anheuser-Busch den perfekten Durstlöscher geschaffen – das Bier-Aroma blieb beim Herstellungsprozess allerdings weitestgehend auf der Strecke.
Sie begannen mit Pale Ale, IPA, Stout und Porter
Neben der Sensorik war den Craft-Brauern aber auch die Biererzeugung wichtig. Denn jenseits des industriell gefertigten Mainstream-Bieres fanden sich auf dem Markt nur noch wenige Exoten wie das „Yuengling Porter“, das „Ballantine India Pale Ale“ und das „Augsburger“, ein kräftiges deutsches Bier von Huber Brewing. Bei ihren Rezepturen erinnerten sich die Hausbrauer an diese besonderen Biere und ihre eigenen familiären Wurzeln. Die lagen entweder in Großbritannien oder Deutschland. Allerdings ließen sich die englischen Stile wegen der dafür verwendeten obergärigen Hefe, die ohne zusätzliche Kühlung auskam, wesentlich leichter brauen als die untergärigen deutschen Biere. Deswegen standen also erst einmal Pale Ale, IPA, Stout und Porter auf dem Programm der Craft- und Heimbrauer.
Charlie Papazian und die Association of Brewers
Als einer der Gründerväter der Craft-Bewegung wird Charlie Papazian gesehen, der heute der Präsident der amerikanischen Brewer’s Association ist. Papazian hatte während des Studiums einen Hausbrauer kennengelernt, daraufhin selbst erste Versuche unternommen und 1972 die Universität von Virginia in Charlottesville als frischgebackener Bachelor der Nuklearwissenschaften verlassen. Wie viele andere Intellektuelle seiner Zeit fühlte er sich in der Welt an der Ostküste nicht wohl und zog nach Colorado, um dort in einem Kindergarten Vorschulunterricht zu geben. Nach der Arbeit zog es ihn an seine Brautöpfe und schon 1976 veröffentlichte er mit „Joy of Brewing“ sein erstes Buch zum Thema Bier mit insgesamt 78 Seiten. Im Jahr der Legalisierung gründete Papazian die American Homebrewers Association, bei der Interessierte für 2,50 Dollar sein Buch erstehen oder für vier Dollar im Jahr Mitglied werden konnten – ein vergünstigtes Buch inbegriffen. Insbesondere der Stil, mit dem Charlie Papazian seine Leser in die Thematik des Bierbrauens einführte, begeisterte sein Publikum: „Relax. Don’t worry. Have a homebrew. Making quality beer is EASY!“
Papazian gründete weitere wichtige Institutionen wie die Association of Brewers (1979), die 2005 mit der altehrwürdigen Brewer’s Association of America zur Brewer’s Association unter seiner Führung verschmolz, das Institute for Brewing Studies und den Verlag der Association, Brewers Publications (1986). Außerdem legte er den Grundstein für das Great American Beer Festival (1982) und den wichtigsten Bierwettbewerb der Welt, den World Beer Cup (1996).
McAuliffe und die erste Craft-Brauerei der USA
Zwei weitere wichtige Pioniere des Craft Brewings sind Jack McAuliffe und Fritz Maytag. McAuliffe war der Sohn eines US-Geheimdienstmitarbeiters, der in Südamerika erst gegen Deutschland spioniert und dann die amerikanischen Interessen in Honduras und Kolumbien vertreten hatte. 1964 verpflichtete sich er sich als 19-Jähriger bei der Marine und diente in Schottland, wo ihn vor allem die lokale Bierkultur begeisterte. Er kaufte sich ein Exemplar der britischen Hausbrauerbibel „The Big Book of Brewing“ von Dave Line und begann, auf seiner Stube Bier zu brauen. Das Ergebnis schmeckte sowohl seinen Kameraden als auch den Einheimischen. Nach dem Ende seines Militärdienstes kehrte McAuliffe in die USA zurück, absolvierte eine Ausbildung zum Feinoptiker und erhielt 1971 eine Anstellung in Sunnyvale, Kalifornien. Doch die Faszination des Brauens ließ ihn nicht los. 1975 kündigte er und begann mit 5.000 Dollar Startkapital in einer umgebauten Lagerhalle mit selbst gebastelten Utensilien zu brauen.
Mit zwei Partnern, Suzy Stern und Jane Zimmermann, gründete McAuliffe schließlich ein Jahr später im Oktober New Albion Brewing, die erste Craft-Brauerei der USA. Die Brauanlage hatte er aus ausgemusterten Sirup-Lagertanks eines Limonadenherstellers mit 200 Litern Fassungsvermögen, einer Flaschenwaschmaschine aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges und einem Etikettierer von 1910 zusammengeschraubt. New Albion stellte pro Woche 821 Liter Bier her. Die Sorten Pale Ale, Porter und Stout, allesamt nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut und in der Flasche vergoren, machten schnell die Runde, und Berichte in der „New York Times“ und „Washington Post“ folgten. Ein Bier ohne die Zugabe von Enzymen, Maisgries und Stabilisatoren war in den USA der 1970er-Jahre nahezu unbekannt. Dies und nicht zuletzt die durchschlagende Wirkung der im Vergleich zu den Lite Beers wesentlich alkoholstärkeren New-Albion-Biere begeisterte die Kundschaft. Wirklich profitabel wurde das erste amerikanische Craft-Unternehmen allerdings nie und musste im November 1982 seine Pforten schon wieder schließen.
Fritz Maytag und die Anchor Steam Brewing Company
Fritz Maytag, wohlhabender Spross einer Dynastie von Waschmaschinenfabrikanten, verzweifelte 1955 nach seinem Abschluss an der Deerfield Academy in Massachusetts ebenfalls an der Engstirnigkeit der Ostküsten-Bevölkerung und brach 1959 zu einem Studium an der Stanford University in Kalifornien auf. Dort studierte er Japanisch, verließ die Universität allerdings 1964 ohne Abschluss. Konfrontiert mit der zu dieser Zeit im Entstehen begriffenen Hippie-Bewegung vor Ort, dachte er über verschiedene Möglichkeiten nach, sein Vermögen in sinnvolle und nachhaltige Projekte wie beispielsweise die Entwicklungshilfe zu investieren. Im August des Folgejahres berichtete ihm ein gut bekannter Cafébesitzer, Fred Kuh, dass die unweit von San Francisco gelegene Anchor Steam Brewing Company zum Verkauf stehe. Kuh war einer der letzten Kunden der 1896 gegründeten Brauerei, die in den Jahren seit 1959 einen stetigen Niedergang des Absatzes und der Qualität hinnehmen musste.
Nach einer kurzen Besichtigung hatte Maytag das Braufieber gepackt und er kaufte den bisherigen Mehrheitseigentümern ihren Anteil von 51% ab. Nun war er stolzer Besitzer einer durch und durch maroden, verschuldeten Brauerei mit 700 Hektolitern Jahresausstoß. Kaum einer der Kneipenbesitzer, denen er sein Bier verkaufen wollte, glaubte, dass er wirklich der neue Eigentümer war – die meisten hielten ihn für einen Hochstapler oder Geisteskranken. Die wenigen, die ihm glaubten, versicherten ihm jedoch, dass das saure Anchor-Bier so ziemlich das Letzte sei, was sie ihren Gästen jemals anbieten würden. Desillusioniert kehrte Fritz Maytag in seine Brauerei zurück und beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Als kleiner Junge hatte er ein Mikroskop geschenkt bekommen, um das herum er nun ein Labor aufbaute. Mithilfe von Lehrbüchern, seinem Mentor John Borger und der Brewer’s Association of America arbeitete er sich in das Bier-Business ein. Beseelt von dem Willen, das beste Bier der Welt zu brauen, kaufte er 1969 auch noch die restlichen 49% der Brauerei, modernisierte die Ausrüstung und importierte seine Rohstoffe aus Europa. Im Gegensatz zu den industriellen Großbrauereien setzte Maytag auf Hopfendolden statt Extrakt und pasteurisierte sein Bier nur 15 Sekunden anstatt der sonst üblichen 15 Minuten. Mit neuem Rezept und verändertem Brauverfahren gelang es ihm, das alte Steam Beer wiederzubeleben. Die heißen Temperaturen in Kalifornien hatten weder Natureis noch kaltes Wasser für die Brauer zu bieten und so waren sie gezwungen, ihr untergäriges Bier bei relativ hohen Temperaturen zu vergären, wobei das Jungbier stark schäumte und so den Namen Dampfbier prägte. Innerhalb weniger Jahre führte Maytag seine Brauerei zu neuer Blüte und wurde einer der Pioniere der Craft-Beer-Bewegung. Dem erfolgreichen Steam Beer stellte er weitere Sorten zur Seite: 1972 das erste US-Porter seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, 1975 das »Old Foghorn«, das erste Barleywine auf dem amerikanischen Markt überhaupt, und im selben Jahr mit dem »Liberty Ale«auch noch das erste India Pale Ale, wenngleich die Bezeichnung IPA für Craft-Bier erstmals 1983 von Bert Grant in Yakima genutzt wurde. 2010 verkaufte Maytag seine Anteile und widmet sich heute Blauschimmelkäse und Wein.
Die Craft-Brauereien-Verbreitung in USA
Zu Beginn der 1980er-Jahre gab es bereits über zwei Millionen Hausbrauer in den USA, von denen immer mehr aufgrund der Abschaffung der immensen Lizenzkosten Kleinst- und Kleinbrauereien gründeten. Vor allem die intensive Nutzung von Hopfen zeichnete die erste Begeisterungswelle aus, weswegen sich die enthusiastischen Hobbybrauer selbst als »Hopheads« bezeichneten. Dies war in der Jazz-Szene der 1920er-Jahre noch der Begriff für einen Konsumenten verschiedenster Drogen, welche die jungen Bierfreaks nun mit dem Hopfen tauschten. Sie hatten für ihre Brauversuche die Kalthopfung, das Dryhopping, für sich wiederentdeckt und gaben große Mengen Hopfen in das gärende oder lagernde Bier. Nutzten die Brauer des ausgehenden Mittelalters das Hopfenstopfen, wie die Kalthopfung auch gerne genannt wurde, noch zur Aromatisierung missratener Sude und zur Verlängerung der Haltbarkeit, ging es nun vor allem um die Steigerung des Aromas und der Bitterkeit. Die Hausbrauer wetteiferten darum, wer die kräftigste Hopfennote präsentieren konnte.
Als eine der ersten Brauereien ging der von den beiden Hobbybrauern Ken Grossman und Paul Camusi 1979 im kalifornischen Chico gegründete Betrieb »Sierra Nevada« aus der Heimbrauerszene hervor. Sie präsentierten mit ihrem »Pale Ale« 1980 und dem IPA »Celebration« ein Jahr später als zweite Brauerei nach Anchor intensiv hopfengestopfte Biere auf dem US-Markt, für die sie als Erste eine neue Hopfensorte namens Cascade nutzten, deren kräftige Zitrus- und-Grapefruitaromen die Kunden begeisterten. Während die Hopfenöle, in denen diese Aromen enthalten sind, normalerweise beim Kochen des Bieres großteils verdunsten, gelangen sie beim Kalthopfen mit voller Intensität ins Bier. Wie bereits erwähnt, folgte Bert Grant 1983 mit seinem „Grant’s India Pale Ale“, gestopft mit Cascade- und Galena-Hopfen, über das der berühmte Bierautor Michael Jackson nach seinem ersten Schluck sagte: „I was just stunned by the bitterness of it. I thought, Christ, he’s really going to do this. Bert really expects peoply to buy this?“ Zahlreiche weitere Bierfreaks folgten in den nächsten Jahrzehnten und starteten mit eigenen Unternehmen ins Craft-Beer-Business. Bekannte Namen sind:Boston Beer Co. (1984), New Belgium Brewing (1991), Deschutes Brewery (1988), Bell’s Brewery (1983), Stone Brewing Co. (1996), Dogfish Head Craft Brewery (1995), Brooklyn Brewery (1988), Firestone Walker Brewing Co. (1996) und Rogue Ales (1988). Im Jahr 2000 erreichte die Gründungswelle mit insgesamt 1.566 Brauereien in den USA einen ersten Höhepunkt, 2015 überschritt die Zahl mit 4.548 Unternehmen erstmals wieder die alte Höchstmarke von 4.131 Betrieben aus dem Jahr 1873. Mittlerweile gibt es über 5.000 Craft-Brauereien in den USA, Tendenz weiter steigend.
Die US-Definition
Der Begriff ist in den USA seit Kurzem auch klar definiert: Eine Craft-Brauerei muss klein und unabhängig sein sowie mit traditionellen Methoden arbeiten. Klein bedeutet, dass die Brauerei weniger als sechs Millionen Barrel Bier (7,14 Mio. hl) pro Jahr herstellt. Mit deutschen Maßstäben ist das schwer zu fassen, denn nur drei Braukonzerne übertrafen 2016 in Deutschland diese Zahl: die Radeberger Gruppe (11,5 Mio. hl), Anheuser-Bush InBev (10,7 Mio. hl) und die Oettinger Brauerei (9,2 Mio. hl). Diesen Branchenriesen folgten die Bitburger Braugruppe (7 Mio. hl) und Krombacher (6 Mio. hl). Unabhängig meint im Falle der US-Definition, dass weniger als ein Viertel der Anteile in Händen einer industriellen Nicht-Craft-Brauerei sind. Und traditionell schließlich bedeutet, dass der Großteil der Biere einer Craft-Brauerei seine Aromen aus der Verwendung traditioneller oder innovativer Rohstoffe und ihrer Vergärung erhalten soll. Neben diesen drei obligatorischen Punkten sollen sich die Craft-Brauereien durch Innovation, Handwerkskunst und Wohltätigkeit auszeichnen.
Zwischen den Craft-Brauereien unterscheidet die Brewer’s Association noch zwischen „Microbreweries“, Brauereien, die weniger als 17 600 Hektoliter pro Jahr herstellen und mindestens drei Viertel ihres Biers im Handel verkaufen, »Brewpubs«, Gasthausbrauereien, die mehr als ein Viertel ihrer Biere im Haus verkaufen, und »Regional Craft Breweries«, unabhängige Unternehmen, die einen Großteil ihrer Biere auf traditionelle oder innovative Weise herstellen. Von den 2016 5.301 US-Brauereien gehörten 5.234 dem Craft-Segment an, die sich in 3.132 Microbreweries, 1.916 Brewpubs und 186 Regional Craft Breweries untergliederten. Zusammen hatten sie einen Marktanteil von 12,3%. Diametral dazu waren 51 Großbrauereien und 16 weitere positioniert, von denen alleine Anheuser-Busch einen Marktanteil von knapp der Hälfte sein eigen nannte. In der jüngeren Vergangenheit wurden allerdings zahl- und ruhmreiche Craft-Brauereien von großen Konzernen aufgekauft oder zu einem erheblichen Teil übernommen. Anheuser-Busch InBev kaufte beispielsweise 10 Barrel Brewing, Elysian Brewing, Goose Island und Birra del Borgo. SABMiller, nunmehr auch Teil von AB InBev, übernahm die Meantime Brewing Company und Blue Moon, während Heineken sich die renommierte Brauerei Lagunitas einverleibte. Der letzte harte Schlag für die Craft-Bier-Enthusiasten war die Nachricht, dass das Urgestein Anchor Brewing künftig Teil des japanischen Konzerns Sapporo Breweries sein wird. Eine Entwicklung, die einerseits zeigt, dass auch die Craft-Brauereien mittlerweile in der wirtschaftlichen Realität angekommen sind, andererseits aber auch deren Bedeutung für den Markt unterstreicht.
Sierra Nevada und Neue Technologien
Nach allen Analysen von Branchenkennern wird sich der Ausverkauf der Craft-Brauereien in den USA in den nächsten Jahren noch weiter intensivieren. Der Pionier Sierra Nevada ist allerdings noch eigenständig und mit ca. 1,5 Millionen Hektolitern Jahresproduktion mittlerweile die siebtgrößte Brauerei der Vereinigten Staaten. 2009 präsentierte die Firma mit dem »Hop Torpedo« ein neues Gerät, das das Hopfenstopfen revolutionierte. Die Brauer füllen das zylindrische Gefäß mit 36 Kilogramm Hopfen und pumpen anschließend das Bier vom Gärtank bei 20° C immer wieder durch den Torpedo hindurch. Damit können nahezu
sämtliche Aromen der Hopfenöle ins Bier
gelangen. Das erste Bier, das so gebraut wurde, war das „Torpedo Extra IPA“, das auch heute noch als Meilenstein der hopfenaromatischen Biere gilt. In Erinnerung an ihre einstigen Vorbilder Charlie Papazian, Jack McAuliffe und Fritz Maytag sowie Fred Eckhardt, den ersten national bekannten Bierautor, präsentierte Sierra Nevada 2010 zu seinem 30. Jahrestag der Öffentlichkeit vier Biere, die jeweils mit einem der »Gründerväter« gebraut wurden – das Craft-Bier feierte zum ersten Mal seine Geschichte.
Autor: Markus Raupach
Fotograf, Journalist, Bier- und Edelbrandsommelier
Ausgezeichnet mit der Goldenen Bieridee 2015
copyright © Bier-Deluxe GmbH