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Craft Beer Europa

Im Krieg hatte Bier noch seine Rolle als Grundnahrungsmittel erfüllt – die Versorgung von Truppe und Bevölkerung hatte in fast allen Krieg führenden Ländern höchste Priorität. Danach aber entwickelte es sich auch in Europa mehr und mehr zum allzeit verfügbaren Konsumprodukt, bei dem weniger der Geschmack, sondern letztendlich nur noch der Preis und die Rendite zählten. Der Siegeszug der großen „Fernsehmarken“, die TV-Werbepartner von Bundesliga und Formel 1 wurden, schien in den 1960er- bis 1980er-Jahren unaufhaltsam. Doch spätestens nach der Wiedervereinigung besannen sich die deutschen Verbraucher auf ihre regionalen Marken, und Gasthausbrauereien schossen wie Pilze aus dem Boden. Den Gipfel dieser Entwicklung stellen mit Sicherheit die Craft-Brauer dar, welche die Bierwelt gehörig durcheinandergewirbelt haben und eine Internationalisierung der Bierstile nach sich gezogen haben: Konnte man sich in den 1990er-Jahren noch sicher sein, dass ein IPA aus England oder den USA, ein Weizen aus Deutschland oder ein Dubbel aus Belgien stammte, so gleicht die heutige Brauereiwelt dem oft zitierten globalen Dorf.

Während die Craft-Brauer in den USA ab den 1970er-Jahren für Furore zu sorgen begannen, erlebten die meisten anderen Nationen der Welt eine immer stärkere Konzentration ihres Biermarktes, der von der Dominanz untergäriger, meist heller Biere geprägt war. Am Ende standen meistens zwei Großkonzerne mit großem Abstand an der Spitze der jeweiligen nationalen Brauereien. Lediglich in Deutschland waren es vier „Große“, die mit Millionen Hektolitern um die Gunst der Konsumenten kämpften, während über die Hälfte der Unternehmen eine sehr kleine Jahresproduktion von unter 5.000 Hektolitern aufwiesen. Am Ende ging eine Schere auf mit Großbrauereien einerseits, die über 100 000 Hektoliter pro Jahr brauten, und Kleinbetrieben mit weniger als 20 000 Hektolitern auf der anderen Seite. Der klassische Mittelbau war weggebrochen. Dieser Trend verstärkte sich noch durch eine Gründungswelle traditioneller Gasthausbrauereien mit dem Sortiment Hell/Dunkel/Weizen ab den 1980er-Jahren. Die aggressive Werbestrategie der Großbrauer prägte den Begriff der „Fernsehbiere“ und die nicht minder harte Preispolitik ließ bisherige Premiumbiere zu Ramschartikeln werden, die fast nur noch über Aktions-Verkäufe in den Getränkemärkten über die Ladentheke gingen. In allen Ländern Europas war die Anzahl der Brauereien rückläufig, und die Prognosen für die Zukunft sahen düster aus.

Der Bierautor Michael Jackson hatte 1977 die Erstausgabe seines Buches „The World Guide to Beer“ veröffentlicht, seine Bücher gelangten auch über den Atlantik und fanden rege Aufnahme in den Reihen der CAMRA-Mitglieder in Großbritannien und später ganz Europa. So erreichte die Idee, in Bier wieder mehr zu sehen als lediglich einen günstigen leicht alkoholischen Durstlöscher, auch eine zunehmende Zahl von Brauern und Hobbybrauern in der Alten Welt. Dennoch kursierten in den USA Witze wie „German Beer is like a dead Rabbit – no Hops!“ Die wohl erste europäische „Craft-Brauerei“, die auch heute noch von Bedeutung ist, gründete der Italiener Agostino Arioli in dem 3000-Seelen-Ort Lurago Marinone in der Lombardei. Die italienische Bierwelt hatte – ganz in der Tradition der alten Römer – im 20. Jahrhundert wenig zu bieten, der Pro-Kopf-Verbrauch an Bier lag bei einem Liter pro Jahr! Lediglich österreichische Unternehmer hatten zur Zeit der k.u.k.-Monarchie einige lokale Brauereien gegründet, die nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in italienischen Besitz übergingen oder Firmenneugründungen als Vorbild dienten. In den 1990er-Jahren dominierten schließlich zwei Großbetriebe den Markt, die ein untergäriges, helles, leicht bitteres Bier herstellten – Peroni und Moretti.

Erst 1995 legalisierte das italienische Parlament das Hausbrauen und ermöglichte so die Entstehung neuer Kleinbrauereien. Schon als Schüler hatte Agostino Arioli vom Bierbrauen geträumt und während seines Braumeisterstudiums schließlich entstanden die ersten kreativen, damals noch illegalen Sude in den eigenen vier Wänden. Nach einigen Praktika in deutschen Brauereien und einer Studienreise zur kanadischen Microbrewery Granville Island Brewing in Vancouver nutzte „Ago“ die neue Gesetzeslage und eröffnete Anfang April 1996 den ersten Brewpub Italiens mit dem Namen „Nuovo Birrificio Italiano“. In dem 200-Liter-Sudwerk entstand unter anderem das „Tipopils“, ein Pils mit deutschen Rohstoffen, aber intensiven Aromahopfennoten – bis heute das Flaggschiff von Birrificio Italiano. Weitere Kreationen wie das „VuDù“, ein dunkles Weizenbier mit englischem Hopfen, und das „Cinnamon Bitter“ in der Tradition britischen Real Ales folgten und legten den Grundstein für die entstehende Bier-Philosophie des ganzen Landes. Im Gegensatz zum US-amerikanischen Craft-Bier zeichnen sich die italienischen Biere vor allem durch hohe Harmonie, Komplexität und Eleganz aus.

Als Erster in Deutschland präsentierte Oliver Lemke in Berlin selbstgebrautes Craft-Bier der Öffentlichkeit. Der gelernte Brauingenieur hatte nach seinem Studium Brauereien in der gesamten Welt gebaut und war somit auch intensiv mit der US-Bierszene in Berührung gekommen. Voller Enthusiasmus eröffnete er deshalb im November 1999 unter einem S-Bahn-Bogen am Hackeschen Markt sein Brauhaus Lemke und bot in den ersten sechs Monaten über 50 verschiedene selbst gebraute Biere an. Die Kunden konnten die Spezialitäten sogar abgefüllt als Flaschenbier erwerben. Doch Lemke war seiner Zeit voraus. Aromaintensive Biere interessierten zum Millenium in Berlin noch niemanden und so konnte er die Pleite nur vermeiden, indem er nur ein Jahr später auf eine klassische Gasthausbrauerei mit Hellem, Braunbier und Pils umstellte. Es sollte über ein Jahrzehnt dauern, bis Oliver Lemke sich wieder an aromatischere Biere herantraute und die Palette seiner Berliner Brauerei auch ein hopfengestopftes India Pale Ale umfasste. Der Mut wurde dann aber umgehend mit einer Goldmedaille bei den World Beer Awards 2015 belohnt, viele weitere Auszeichnungen sollten folgen.

Während einer der ersten Craft-Versuche in Berlin also noch scheiterte, wagten sich ein Amerikaner und ein Deutscher im Todesjahr Michael Jacksons 2007 an ein ganz besonderes Experiment. Georg Schneider, Inhaber der Weißbierbrauerei Schneider in Kelheim, wollte die „Wiesn-Weiße“ wiederbeleben und entdeckte bei der Rekonstruktion des Rezeptes, dass dieses Bier immer am Ende des Hopfenjahres eingebraut wurde – also mit einem ungefähr ein Jahr alten Hopfen. Dieser wies ein leichtes Zitrusaroma auf, das Schneider in seiner Wiesn-Weiße haben wollte. Nachdem heutzutage aber kaum mehr alter Hopfen zu bekommen ist, erwies sich das Unterfangen als schwierig, bis ein Zufall weiterhalf. Schneider war mit seinem Braumeister Hans-Peter Drexler in den USA und die beiden probierten ein India Pale Ale der Brooklyn Brewery, das ein kräftiges Zitrusaroma hatte. Am nächsten Tag wurden sie bei deren Braumeister, Garrett Oliver, vorstellig und fragten nach dem Geschmacksgeheimnis des Bieres. Die Antwort war denkbar einfach: Oliver verwendete Cascade-Hopfen, eine Sorte, die in Europa bis dato kaum bekannt war. Schneider besorgte sich den Hopfen über viele Umwege und schuf so seine neue Wiesn-Weiße.

Zusätzlich hierzu wollten Oliver und Drexler ihr Können messen – mit einem Bier, das die besten Eigenschaften beider Brauereien vereinte und mit derselben Rezeptur, aber unterschiedlichen Ausgangsstoffen gebraut wurde. Bei diesem spannenden „Collaboration Brew“ (Gemeinschaftssud) in Kelheim und New York kam ein Weizendoppelbock mit intensiver Kalthopfung wie bei einem India Pale Ale heraus: die „Hopfenweiße“, in Anlehnung an den englischen Begriff Tap (Zapfhahn) bzw. die Taphouses (Kneipen) heute immer noch als „TAP 5“ im Sortiment der Weißbierbrauerei. Als die ersten deutschen Konsumenten und Schneiders Kollegen dieses Bier probierten, war das Staunen groß – und die Craft-Botschaft auch hierzulande angekommen.

Ebenfalls 2007 gründeten James Watt und sein bester Freund Martin Dickie im schottischen Fraserburgh die Brauerei BrewDog. Die beiden hatten 2004 Michael Jackson getroffen und sich von ihm inspirieren lassen, Hobbybrauer zu werden. Der „Beer-Hunter“ verkostete beim nächsten Treffen die ersten Versuche der Freunde und riet ihnen, ihre Jobs an den sprichwörtlichen Nagel zu hängen und eine Craft-Brauerei zu eröffnen. Aus den 30 000 Pfund Startkapital machten Watt und Dickie in weniger als zehn Jahren die am schnellsten wachsende Brauerei des Vereinigten Königreiches mit heute mehr als 200 000 Hektolitern Jahresproduktion, eigenen Bars in allen Ecken der Welt und einem Firmenwert von über einer Milliarde Pfund.

In Dänemark hatten sich der Gymnasiallehrer Mikkel Borg Bjergsø und sein Jugendfreund, der Journalist Kristian Klarup Keller, schon 2005 zusammengetan, um in ihren jeweiligen Küchen Bier zu brauen. Die Ergebnisse sorgten auf Hobbybrauer-Wettbewerben für Begeisterung und so entschlossen sich die beiden, 2006 das gemeinsame Unternehmen „Mikkeller“ zu gründen. Schon ein Jahr später verließ Keller jedoch die Firma, und Bjergsø begann, sich als einer der ersten „Gypsy-Brewer“ in Brauereien einzumieten, um dort jeweils seine Rezepturen umzusetzen. 2009 gab er seine Stelle als Lehrer auf und wurde der berühmteste „Wanderarbeiter“ der Welt. Seine Biere stehen in über 40 Ländern in den Geschäften und seit 2016 ist Bjergsø stolzer Besitzer zweier Brauereien in San Diego und New York.

Diese kurzen Einblicke zeigen, wie der Wandel spätestens ab 2007 in der deutschen, aber auch gesamteuropäischen Bierwelt Einzug gehalten hat. Die Einstellung sowohl der Brauer als auch der Verbraucher begann sich damals zu wandeln. Es ging nicht mehr darum, das massenkompatibelste Bier herzustellen, sondern die jeweiligen Besonderheiten und Entstehungsgeschichten in den Vordergrund zu stellen. Die Brauereien fingen an, verschiedenste Bierstile, unabhängig von der jeweiligen Brautradition ihres Landes oder ihrer Region, herzustellen. Die Konsumenten entwickelten eine zunehmende Bereitschaft, etwas mehr Geld auf den Tisch zu legen, wenn das Produkt stimmte. Brauer hatten auf einmal echte Fans und regionales Bier kleiner Brauereien gab Menschen wieder ein Gefühl von Heimat. Diese Entwicklung führte außerdem dazu, dass Brauen wieder „sexy“ wurde. Die nachfolgenden Generationen in den Familienbetrieben bekamen entgegen früherer Tendenzen wieder Lust, das elterliche Unternehmen weiterzuführen, und gingen auf die Braumeisterschule – so ist mittlerweile das Brauereisterben in Deutschland gestoppt.

Nach einem Tiefpunkt mit 1273 Brauereien im Jahr 1997 stieg die Zahl bis heute wieder auf über 1.400 an. In den meisten Ländern Europas war der Nachholbedarf jedoch deutlich größer. In Großbritannien gab es 1978 noch 75 Brauereien, 2006 waren es bereits wieder 745 und heute sind es knapp 2.000. Andere klassische Bierländer legten ebenfalls deutlich zu: Belgien (heute 230 Brauereien), Tschechien (400) und die Niederlande (320). Und auch Länder, die bisher keine Rolle auf dem Biermarkt gespielt hatten, verfügen jetzt über eine lebendige Bierszene: Finnland (100), Frankreich (800), Italien (700), Portugal (70), Spanien (430) und Schweden (220). Dabei sind es in den einzelnen Ländern durchaus unterschiedliche Bevölkerungsschichten, die den Weg zum Bier gefunden haben. So ist in Frankreich Bier das Getränk der Jugend, die sich so von den Wein trinkenden Eltern abgrenzen will, in Italien genießen gerade Frauen Bier – und gerne mit vom Wein bekannten hohen Alkoholgehalt.

In Deutschland sind die Biertrinker nach wie vor eher älter und männlich, während die Finnen ihr Bier sogar mit in die Familiensauna nehmen. Bei den Bierstilen sind es bei Weitem nicht nur die wiederentdeckten englischen Biere, die in der neuen Bierwelt für Begeisterung sorgen. In allen europäischen Ländern, vor allem im Norden, werden vermeintlich verloren gegangene Bierstile und deren Herstellungsverfahren wiederbelebt. Gute Beispiele sind Sahti (Finnland), Grodziskie/Grätzer (Polen), Keptinis (Litauen), Gruitbier (Niederlande) und viele deutsche Biere wie Broyhan, Gose, Adambier, Lichtenhainer, Berliner Weiße, Mumme etc. Hierbei geht es oftmals nicht nur um die exakte Reproduktion, sondern auch um neue, kreative Rezepturen unter Verwendung der Vorbilder aus alten Zeiten.

Die Craft-Bier-Begeisterung erweiterte den europäischen Biermarkt vor allem um neue Aromen und ein neues Bierbewusstsein, das alle Akteure vom gestandenen Braumeister über den begeisterten Konsumenten bis zum Biersommelier und Hobbybrauer erfasst hat. Für den im Schrumpfen begriffenen Markt war die Möglichkeit, neue, bisher für Bier unerreichbare Kundengruppen zu gewinnen, immens wichtig. Waren es in Frankreich die Jungen und in Italien die Gourmets, gerieten in Deutschland vor allem Weintrinker, Spirituosenliebhaber und Frauen in den Fokus. Als Imageträger hat das Craft-Bier bereits heute den europäischen Biermarkt und vor allem die Perspektive der Konsumenten auf das Bier erheblich verändert. Bier ist wieder zeitgemäß und in aller Munde. Selbst die Lufthansa, die mittlerweile 1,6 Millionen Liter Bier pro Jahr über den Wolken ausschenkt, setzt auf Craft-Bier und verkauft sogar Verkostungsgläser in ihrem Shop.

Autor: Markus Raupach

Fotograf, Journalist, Bier- und Edelbrandsommelier

Ausgezeichnet mit der Goldenen Bieridee 2015

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